Handel als Gatekeeper
Welche Verantwortung hat der Handel für eine nachhaltige Sicherung unseres Ernährungssystems? Das Netzwerk Good Food Collectiv diskutierte im SustainableFutureLab mit Vertretern des Handels die Zukunftschancen für Bio.
„Was der Handel nicht listet, kann der Kunde nicht kaufen“, brachte Professor Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg das Thema auf den Punkt. In diesem Sinne sei der Handel ein Gatekeeper und trage damit auch eine Verantwortung. Welche Chancen zur Transformation des Ernährungssystems der Handel sieht, erläuterten VertreterInnen aus Fach- und Einzelhandel sowie Drogeriemarkt im Zukunftslabor der Biofach.
Mit dem Einstieg in den Massenmarkt haben sich die Konditionen für Bio verändert. Die Pioniere traten einst für ein anderes Wirtschaften in regionalen Wertschöpfungsketten ein und kalkulierten die Preise auf Basis der Kosten der Landwirte. Heute bestimmt die Preiskalkulation des Wettbewerbs die Bio-Verkaufspreise im Regal. Der Handel bezieht seine Bioprodukte durchaus von heimischen Erzeugern – allerdings nur dann, wenn ihm auch der Einkaufspreis passt. Solange die gesellschaftlichen Leistungen regionaler Bio-Strukturen nicht eingepreist werden, können heimische Wertschöpfungsketten im internationalen Wettbewerb preislich jedoch nur schwer mithalten.

Für Edeka-Kauffrau Theresia Quint wird die Bedeutung der Verarbeitung im Handel bislang zu wenig berücksichtigt. Der Biomarkt brauche einen gesunden Mittelstand mit starkem Bezug zum Handwerk. Bisher sieht die Vorstandsvorsitzende von Bioland Verarbeitung & Handel e.V. den LEH insgesamt noch nicht optimal als Bio-Händler aufgestellt. Das Übertragen von konventionellen Strategien auf ökologische Themen werde nicht funktionieren. Für Quint besteht dabei das Risiko, dass die Verbraucher das Vertrauen in Bio verlieren.
„Heute ist der Markt verzerrt, da alles was nachhaltiger ist, teurer ist“, konstatierte Kerstin Erbe, Geschäftsführerin dm-Drogeriemarkt. Man müsse daher gemeinsam an den Strukturen arbeiten, um Unternehmen, Gesellschaft und Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Aus ihrer Sicht hat sich der Bio-Fachhandel auf die reine Bio-Zielgruppe fokussiert und damit die 60 Prozent der Flexitarier in Sachen Bio nicht abgeholt. „Bei dm kauft jedoch die gesamte Gesellschaft ein und wir sind verpflichtet, unseren Kunden das zu bieten, was sie sich wünschen“, so Erbe.
Die Drogeriemarkt-Kette habe sich bei Lebensmitteln für 95 Prozent Bio entschieden und die Eigenmarke dmBio entsprechend ausgebaut. „Unsere DNA heißt Demokratisierung von Luxus“, erläuterte Erbe die dm-Markenstrategie. Für sie ist der Drogeriemarkt Teil der Transformation von konventionell zu bio, da die Kunden hier Bioprodukte finden, die sie vielleicht vorher noch nicht entdeckt hatten. „Wir haben einen großen Gestaltungsspielraum und den sollten wir nutzen“, erklärte die dm-Geschäftsführerin. Die Branche habe eine große Chance, gemeinsam an den Strukturen zu arbeiten, damit sich der Markt in die richtige Richtung entwickle.
„Der Händler trägt eine enorme Verantwortung, weil er großen Einfluss hat“, stimmte dennree-Kommunikationsleiter Lukas Nossol zu. Der Fachhandel wisse genau, warum es ihn gebe. Sein klares Werteverständnis helfe dabei, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Nossol warf zudem den Blick auf die Erzeuger als Kern der Bio-Bewegung. Im derzeitigen Mächte-Pingpong trete diese Säule jedoch fast nicht auf, weil sie keine gebündelte Macht habe.
Auf die schwierige Situation der Landwirte in der Wertschöpfungskette verwies auch Matthias Fiedler von der Allianz Faire und Ökologische Marktwirtschaft (FÖM). Vier große Handelskonzerne kontrollieren den Lebensmittelmarkt zu 85 Prozent. „Der Preis ist ein Erfolgsfaktor: nämlich der Preis, den die Händler in ihren Verhandlungen mit den Bauern erreichen. Leider ist dies oftmals nicht der kostendeckende Preis für die Bauern“, so Fiedler. Der Handel habe eine große Verantwortung, hier genau hinzuschauen. Daher sein Appell an den Handel: „Wenn Sie Wachstum in der Biobranche möchten, dann müssen Sie einen anderen Umgang mit Bioerzeugern finden.“