„Bio wird sich fragmentieren“
Blogger und Landwirt Ingmar Jaschok-Hops arbeitet in Norddeutschland in den regional-ökologischen Wertschöpfungsketten als Berater für Verarbeitungsbetriebe. FairBio hat ihn gefragt, in welche Richtung sich der „Dampfer Bio“ aus seiner Sicht bewegt.
FairBio: In den vergangenen Monaten diskutierten die Marktakteure auf vielen Events über Zukunft des Ökolandbaus in Deutschland. Zeichnen sich aktuell konkrete Visionen für die nächsten fünf oder zwanzig Jahre ab?
Jaschok-Hops: Leider nur sehr begrenzt. Es überwiegt die spürbare Unsicherheit über die Zukunft. Der gesamte Sektor konsolidiert sich gerade und niemand so recht weiß, welcher Kurs erfolgreich sein wird. Die Ökobewegung stellt im Moment eher einen großen Dampfer dar – ohne eine klare Richtung: Ein starkes System, das aber durch unterschiedliche Interessen mal hierhin, mal dorthin schaukelt.
Es gibt einen zentralen Zielkonflikt: Der Ökolandbau soll einerseits Innovationsmotor für die gesamte Landwirtschaft sein, andererseits effizient, bezahlbar und ressourcenschonend. Gleichzeitig stehen Biodiversität, Regionalität und globale Verantwortung auf dem Prüfstand, während der Markt stärker rationalisiert und globalisiert wird.
FairBio: Wie stellen sich die Marktakteure darauf ein?
Jaschok-Hops: Die großen Player, die auch konventionelle Standbeine haben, investieren kontinuierlich und gewinnen Marktanteile. Die Unsicherheit betrifft eher kleinere Bio-Betriebe und Bio-Verarbeiter, die versuchen, alle Ideale unter einen Hut zu bringen. Dieser Mittelstand und die handwerklichen Betriebe können die erforderlichen Preise für ihre Produkte jedoch immer schwerer im Markt erzielen.
FairBio: Was bedeutet dies für den Erhalt regionaler Bio-Wertschöpfungsketten?
Jaschok-Hops: Das Wegbrechen der Verarbeitungsstrukturen, die ja häufig traditionell in der Region verankert und gar nicht unbedingt speziell auf Bio ausgerichtet sind, ist ein schleichender Prozess. Ein Beispiel sind die kleinen, handwerklichen Fleischereien, die für viele Direktvermarktungsbetriebe essenzielle Partner sind. Auch hier kann jeder ein Lied von singen. Es entstehen zwar auch neue Strukturen und einige Betriebe wachsen, vielen ist aber Kooperation und Dienstleistung zu aufwändig, was das Angebot für kleine Betriebe weiter schwächt.
FairBio: Warum sorgt die Debatte Bio versus Regional immer wieder für Streit?
Jaschok-Hops: Weil viele gar nicht wirklich über die Inhalte reden. Oft geht es darum, die eigene Position zu verteidigen, ohne sich ernsthaft mit der anderen Seite auseinanderzusetzen. Bio ist eine Philosophie mit strikten Richtlinien. Es geht um Rücksicht auf Böden, Tiere und Lebensmittel. Nur so viel leisten, wie ökologisch sinnvoll ist, und Verarbeitung möglichst handwerklich, ohne unnötige Zusatzstoffe. Regionalität ist dagegen flexibel und beschreibt die Herkunft der Produkte. Das hat seine schönen Seiten, weil es Freiheit und Kreativität lässt. Allerdings wird es schnell komplex: Müssen alle Zutaten aus der Region stammen? Wie regional ist ein Produkt, wenn Tierfutter importiert wird? Muss die Verarbeitung hier stattfinden? Doch Bio und Regional sind keine Gegner. Im Gegenteil: Die regionale Vermarktung hilft den Bio-Betrieben und Bio-Betriebe werten regionale Sortimente immens auf.
FairBio: Was bedeutet die Marktentwicklung für die Zukunft der Ökobewegung?
Jaschok-Hops: Ich glaube nicht, dass die Bewegung ewig als Ganzes unter einem Dach gehalten werden kann. Viel wahrscheinlicher scheint mir eine Fragmentierung. Ein Teil wird versuchen, die Ideale der Kreislaufwirtschaft zu bewahren. Ein anderer Teil wird als Reallabor neue Methoden entwickeln, die die Landwirtschaft insgesamt voranbringen. Wieder andere werden den Markt bedienen und Richtlinien testen, ohne die Grundwerte zu verletzen.
FairBio: Also kein einheitlicher Kurs für Bio?
Jaschok-Hops: Wir müssen akzeptieren, dass die Deutungshoheit nicht mehr allein bei uns liegt. Aber im Grundsatz keine schlechte Nachricht. Es bedeutet vielmehr, dass Kooperation, Offenheit für Innovationen und klare Kommunikation darüber, wofür Bio eigentlich steht, entscheidend werden. Die Herausforderungen sind da, aber genauso die Chancen. Ich sehe viele offene Türen. Es gibt Möglichkeiten für neue Partnerschaften, Food-Startups, innovative Anbausysteme und gesellschaftliche Initiativen. Es ist wie ein großes Spielfeld: Wer bereit ist, pragmatisch und offen zu sein, kann viel bewegen.
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Foto: Vivi D’Angelo
